Thomas Lucker – Reliefs

Thomas Lucker – Reliefs

Dr. Bernhard Maaz 2009

Seit 2008 arbeitet der Berliner Bildhauer Thomas Lucker an einer offenen Serie von relativ kleinformatigen und farbig behandelten Kalksteinreliefs mit figtürlichen Darstellungen, die in besonderem Maße die kunstkritische Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Sie sind deshalb von außergewöhnlichem Interesse, weil sie einerseits sich durchaus als Fortschreibung guter, alter Relieftheorien und -praxis verstehen, andererseits aber höchste künstlerische Eigenständigkeit und ein großes Maß an innovativer Kraft beweisen.

Die traditionelle Relieftheorie hat seit jeher das Verhältnis zwischen Figur und Reliefgrund dergestalt definiert, daß die Gestalten sich vor der planen Fläche herausarbeiten. Diesem Mittel der Lesbarkeit der Formen folgt Lucker, doch verzichtet er auf eine – ohnehin schwerlich als zeitgemäß denkbare – naturalistische Behandlung seiner Motive. Gerade die Schwebungen machen diese Werke reizvoll, zumal sich zuweilen die Figur gleichsam erst dann aus einem Nebel herausschält, wenn man sie längere Zeit betrachtet. Es sind Figuren oder Menschengruppen, die sich vor Architekturfragmenten, Gesteinsformationen oder Ansiedelungsspuren aufhalten. Sie zeigen verhaltene oder keine Aktionen, sind schemenhaft, ja zuweilen geschlechtslos indifferent, dadurch aber interpretatorisch besonders offen und reizvoll.

Thomas Luckers Reliefs folgen einer Tradition, die nachweislich bis in die antike Kunst zurückreicht: Sie sind farbig behandelt. Um aber das Material des Steins, bei dem es sich um einen niedersächsischen Kalkstein (Thüster Kalkstein) handelt, nicht durch einen blickdichten Farbüberzug unsichtbar und somit sinnlich unempfindbar zu machen, verzichtet Lucker klugerweise auf eine dicke Farbschicht und beschränkt die Färbung des Steins auf eine lasierende Tönung. Sie bringt die Farbe – also das Pigment – und den Bildträger – also den Stein- in einen sublimen transluzenten Zusammenklang. Das Relief wird dadurch nicht zu einem Äquivalent der Malerei, spricht aber zugleich Haptik und Optik an und erweist sich somit als besonders sinnlich komplex. Luckers Reliefs stehen in einer langen Tradition, die namentlich im späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts florierte und die sich damals als Oppositionsbewegung verstand und sich gegen das klassizistische Diktat des reinweißen Marmors wandte. Die Nutzung von naturnahen oder natürlichen Pigmenten trägt zu dem hohen ästhetischen Reiz besonders bei, ja arbeitet geradezu daraufhin, die Wirkung einer Epidermis zu erzeugen.

Doch neben der mit Pinsel oder Schwamm aufgetragenen Farbe oder den teilweise auch auf fotomechanischem Wege aufgebrachten Bildmotiven – dies ist eine von ihm persönlich entwickelte innovative Technologie – spielen auch die Körnung des Steins, die Spuren verschiedener steinabtragender Werkzeuge wie Meißel, Raspel etc. sowie die Spuren des Bohrers mannigfaltig zusammen, um das rauhe, differenzierte und deshalb so ansprechende Oberflächenbild zu erzeugen. Diese Reliefs erweisen sich insbesondere dann, wenn man mehrere nacheinander sieht, als Experimentierflächen von hoher Vielfalt und Sublimität,

Trotz einer gewissen Serialität sind die Reliefs als Einzelstücke zu sehen, da dann die je andere Komposition mit Figur, landschaftlichem Hintergrund, assoziativ ausdeutbaren Elementen etc. zur Geltung kommen. Diffuses, Mystisches, Nebulöses spielen mit und machen die Reliefs zu Bildern, die Denken und Empathie herausfordern. Die narrativen Elemente sind nie vordergründig, was dem Betrachter eine vagere Auseinandersetzungsanregung bietet als dies bei eindeutigen Motiven oder narrativen Vorgaben durch literarische Titel der Fall wäre.

Angesicht der allgemeinen Entwertung des Handwerklichen in der bildenden Kunst der letzten Jahrzehnte und angesichts insbesondere eines ausnehmend stark korrumpierten Skulpturbegriffs sind diese Reliefs von hoher Bedeutung, denn sie führen zurück zu dem Grundsatz, daß Kunst aus dem lntellektuellen einerseits und aus dem Manuellen andererseits erwächst, wenn sie über den Tag hinaus Bedeutung erlangen will. Diese Reliefs haben ein kreatives Konzept und insbesondere bei den maritimen Sujets autobiographische Hintergründe. Sie sind aber nicht konzeptuell und eben deshalb besonders bemerkenswert. Sie stellen eine vorzügliche Balance her zwischen Konvention und Experiment, sie sind von hoher Individualität, und eben daraus entspringt ihre besondere Bedeutung.